Das Bundesverfassungsgericht hat der richterlichen Rechtsfortbildung der “wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse” Schranken gesetzt. Nach Auffassung des Gerichts hat die dahingehende Rechtsprechung die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten.

Der Leitsatz des Beschlusses des ersten Senates des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011- 1 BvR 918/10- lautet: „Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1BGB entwickelte Rechtsprechung zu den „wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen“ unter Anwendung der Berechnungsmethode der sogenannten Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhaltes und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet sie die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzt Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).“

Damit hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den ehelichen Lebensverhältnissen für verfassungswidrig erklärt.

Die Folgen der verfassungswidrigen Unterhaltsrechtsprechung des BGH zu den ehelichen Lebensverhältnissen und der Dreiteilungsmethode für Abänderungsverfahren und laufende Unterhaltsklagen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Konsequenz ist zunächst, dass es nicht mehr zulässig ist, Unterhaltverpflichtungen gegenüber dem neuen Ehegatten des unterhaltsverpflichteten Ehegatten als bedarfsprägend für die Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehe anzusehen. Damit verlagert sich die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem neuen Ehegatten auf die Stufe der Leistungsfähigkeit gemäß § 1581 BGB. Welche Auswirkungen danach eine derartige Unterhaltspflicht auf die Unterhaltsberechnung hat, hängt davon ab, ob der neue Ehegatte dem Geschiedenen gegenüber nachrangig, vorrangig oder gleichrangig ist.

Nicht zulässig ist es, den oft unter dem eheangemessenen Bedarf liegenden notwendigen Selbstbehalt als Grenze der Leistungsfähigkeit anzusehen und den Unterhaltsverpflichteten als voll leistungsfähig zu behandeln, obwohl in dem Falle der Erfüllung sämtlicher Unterhaltsverpflichtungen weniger als der eigene eheangemessene Bedarf verbleibt. Vielmehr ist gemäß § 1581 BGB das verfügbare Einkommen unter den Eheleuten so zu verteilen, dass der sich aus den ehelichen Lebensverhältnissen ergebende Bedarf für beide angemessen gedeckt ist.

Besondere Bedeutung hat die Entscheidung auch für die Fälle, in denen der Unterhalt des geschiedenen Ehegatten mit dem Unterhalt eines neuen Ehegatten konkurriert. In diesem Fall ist es nicht zulässig, den Unterhalt des zweiten Ehepartners als eheprägend für die Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehe anzusehen. Der Unterhalt der geschiedenen Ehegatten ist vielmehr ohne diese Unterhaltspflicht zu bemessen. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit im Sinne des § 1581 BGB ist die Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem neuen Ehegatten zu berücksichtigen und danach evtl. ein Billigkeitsunterhalt zu berechnen. Dies hängt davon ab, ob der geschiedene Ehegatte vorrangig, nachrangig oder gleichrangig ist.

Der Unterhalt gemäß § 1581 BGB (sog. Billigkeitsunterhalt) kann dabei auf dreifache Weise berechnet werden. Zum einen durch individuelle Kürzung aufgrund einer Billigkeitsabwägung. Zum anderen gemäß der sog. Mangelfallberechnung, wobei der Bedarf und das zur Verfügung stehende Einkommen ins Verhältnis zum Gesamtbedarf gesetzt werden. Schließlich kommt noch eine quotenmäßige Kürzung in Betracht. wenn der Unterhaltspflichtige später zusätzliche Einkünfte erzielt, die die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt haben.

Bei einer Konkurrenz des nachehelichen Unterhaltes mit dem Unterhalt Für Lebensgefährten nach § 1615 Abs. 1 BGB spricht nach der Rechtsprechung des BVerfG vieles dafür, diese Unterhaltsverpflichtung nach § 1615 BGB nicht als eheprägend zu berücksichtigen. Das Konkurrenzverhältnis ist danach zu lösen, ob der Unterhalt nach § 1615 BGB Vorrang oder Gleichrang hat.

Bei einer Konkurrenz des geschiedenen Unterhalts mit Kindesunterhalt bleibt nach dem Urteil des BVerfG abzuwarten, ob nach der Scheidung entstandene Unterhaltspflichten die ehelichen Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehe prägen oder nicht. Hier dürfte beides vertretbar sein, so dass mit unterschiedlichen Auffassungen zu rechnen ist.

Praxisrelevant ist schließlich, dass alte Unterhaltstitel, die auf der verfassungswidrigen Rechtsprechung des BGH zum Wandel der ehelichen Lebensverhältnisse einschließlich der Drittelmethode beruhen, im Abänderungsverfahren abgeändert werden können.

Simon Schmitz-Berg, Rechtsanwalt für Familienrecht

Simon Schmitz-Berg
Rechtsanwalt