„Ein Mangel im Sinne des Kaufrechts bei einem unsignierten Kunstobjekt für das eine Expertise vorgewiesen wird, liegt nicht bereits dann vor, wenn das Werk nicht im Werkverzeichnis für den Künstler enthalten ist – es sei denn die Vertragsparteien hätten eine solche Beschaffenheit bei Vertragsabschluss vereinbart.“ So entschied das OLG Karlsruhe mit Urteil vom 15. Oktober 2013 ( AZ.: 17 U 8/13).

Der Sachverhalt dieses Falles legt nahe, dass das Monopol der Werksverzeichnis- bzw. Catalogue raisonné-Autoren zumindest juristisch gesehen nicht selbstverständlich ist.

Ein Kunstkäufer nahm den Verkäufer eines Gemäldes von Eugène Boudin gerichtlich auf Schadensersatz in Anspruch. Der Verkäufer hatte das Gemälde für 6.710 € inkl. Aufgeld ersteigert. Der Käufer hatte das Werk schließlich für 26.000 € von ihm erworben. Einen schriftlichen Kaufvertrag gab es nicht. Allein eine „Quittung“ wurde zwischen den Parteien ausgetauscht, auf der es u.a. hieß: „Laut Foto-Expertise von Prof. Dr. Z. handelt es sich um ein original Werk des Malers Eugene Boudin“.

Der Verkäufer hatte das Werk als „Ölgemälde Eugène Boudin mit Fotoexpertise12. Juli 1824 Honfleur – 8. August 1898 in Deauville“ beschrieben. Es lag zu dem Werk eine Expertise, nämlich ein handgeschriebenes Schriftstück des  E. Generaldirektors der Staatlichen Museen in Berlin Geheimrat Prof. Dr. H. Z. von Dezember 1961 vor, u.a. mit dem folgenden Wortlaut: „Das umseitig wiedergegebene Ölbild auf Holz 34,5 x 47,3 cm habe ich im Original untersucht. Es ist eine Arbeit von Eugène Boudin (1824 – 1898), des bekanntesten Interpreten der Küstenlandschaft der Normandie und Bretagne in seiner Zeit.“ Diese Expertise mit Fotos hatte der Käufer zusammen mit dem Gemälde  auch vor dem Kauf in Augenschein genommen.

Knapp 5 Monate später erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag, hilfsweise die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Er war der Ansicht, das Gemälde sei kein Boudin. Im Werkverzeichnis der Experten Robert und Manuel Schmit, Paris, sei es nicht enthalten. Manuel Schmit habe darüber hinaus nach einer Begutachtung geurteilt, das Bild sei kein Originalwerk von Eugène Boudin. Auch ein bekanntes Auktionshaus habe erklärt, das Gemälde sei „nicht für den internationalen Markt geeignet“. Der Käufer machte geltend er hätte das Werk als Original für mindestens 120.000 € verkaufen können, ihm sei daher – nach Abzug von Veräußerungskosten – ein Schaden von 106.200 € entstanden, da das Gemälde kein echter Boudin sei.

Der Käufer war der Ansicht, das Kunstwerk sei mangelhaft, da es ihm als „echtes Gemälde von Eugène Boudin“ verkauft worden sei. Das Kunstwerk sei aber so nicht verkäuflich, da der einzige anerkannte Experte Manuel Schmit das Bild nicht als Boudin beurteile. Der Beklagte habe genau gewusst, dass das Bild nicht echt sei. Der Verkäufer hätte ihn auch darüber aufklären müssen, dass er für die Echtheit des Gemäldes nicht einstehen wolle. Also sei er arglistig gewesen und habe den Käufer täuschen wollen.

Der beklagte Verkäufer blieb bei seiner Auffassung, das Gemälde sei von Boudin. Ein im Verfahren eingeholtes Sachverständigengutachten eines Professors habe dies schließlich auch bestätigt. Zudem habe der Käufer sich auf die dem Gemälde beiliegende Expertise von Prof. Dr. H. Z. von Dezember 1961 verlassen dürfen.

In erster Instanz hatte das Landgericht geurteilt, dass der Verkäufer nur den Kaufpreis, also 26.000 € zurück zahlen sollte, aber keinen darüber hinausgehenden Schadensersatz. Es sei nicht zur Überzeugung des Landgerichts bewiesen worden, dass das Gemälde kein echter Boudin sei. Allerdings habe der Verkäufer dennoch beim Vertragsschluss arglistig gehandelt.

Beide Parteien wehrten sich gegen das Urteil mit der Berufung.

Der Käufer wollte weiterhin den hohen Schadensersatz wegen der angeblichen entgangenen Gewinnchancen. Es komme allein auf die Auffassung des Werkverzeichnis-Autoren Manuel Schmit an, der das Gemälde nicht als echt aufnehmen wolle. Das Gemälde sei demnach auf dem Kunstmarkt als Boudin vollkommen unverkäuflich. Das sei ein Mangel des Werks, der zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtige. Der Käufer berief sich erneut auf die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, was das Landgericht nicht für nötig erachtet hatte.

Der Verkäufer sah kein Fehlverhalten auf seiner Seite und wollte gar nichts zahlen, auch nicht den Kauf rückabwickeln. Schließlich sei das verkaufte Gemälde schon aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme durch Sachverständigutachten als Boudin zu beurteilen. Weiter habe er dem Käufer auch nicht die Hintergründe seines damaligen Erwerbs oder den ursprünglichen Kaufpreis mitteilen müssen. Schließlich habe die Expertise des Prof. Dr. Z. als von 1961 dem Gemälde schon damals beigelegen und der Käufer habe sie ja auch gesehen.

Das Oberlandesgericht entschied in zweiter Instanz voll für den beklagten Verkäufer.

Ein arglistiges Verhalten des Verkäufers sei nicht erkennbar. Nach der dem Gemälde beigefügten Expertise von Prof. Dr. H. Z. aus 1961 stamme das Werk tatsächlich von Boudin , worauf sich der Verkäufer auch verlassen durfte. Schließlich ziehe habe auch das Landgericht auf der Grundlage des neu eingeholten Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L. die Echtheit des Gemäldes nicht angezweifelt.  Der Verkäufer musste dem Käufer weder Preis noch andere Hintergründe seines Erwerbs mitteilen. Dazu bestand nach Auffassung des Oberlandesgerichts keine Verpflichtung.

Den Argumenten des Käufers entgegnete das Oberlandesgericht:

Die Unechtheit des Gemäldes sei nicht bewiesen worden. Ein zweites Sachverständigengutachten sei nicht angezeigt, da keine Gründe vorlägen, an den Feststellungen des gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens zu zweifeln. Es müsse immer mit weiteren, bisher unbekannten Werken Boudins gerechnet werden, das ergebe sich auch aus den Supplementbänden der Experten Robert und Manuel Schmit. Auch die fehlende Signatur bei dem Gemälde lasse keine Zweifel aufkommen. Im Gegenteil: Ein Fälscher hätte sicher die Signatur hinzugefügt.

Der gerichtliche Sachverständige habe überdies überzeugend begründet, weshalb er die Einschätzung des Experten Schmits nicht teile. Auch die Ergebnisse der maltechnisch/naturwissenschaftlichen Untersuchungen sprächen für die Entstehung des  Werks in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und gegen das Vorliegen einer bloßen Kopie und für einen originären Werksprozess.

Von einem Mangel des Kaufobjekts sei auch nicht deshalb auszugehen, weil Manuel Schmit als Verfasser des Werkverzeichnisses von Eugène Boudin das Bild nicht als echt anerkenne. Denn eine solche Beschaffenheit (die Aufnahme in das Werksverzeichnis) hätten die Parteien bei Vertragsabschluss gerade nicht vereinbart.

Da das Gemälde vom Künstler weder signiert noch datiert wurde, ist die Person des nicht unmittelbar am Werk ablesbar, sondern konnte von vornherein nur durch einen Kunstsachverständigen festgestellt werden. Genau eine solche Feststellung lasse sich in der Expertise von Prof. Dr. Z. aus dem Jahr 1961 finden und sei auch Gegenstand der Vertragsverhandlungen der Parteien gewesen. Der Käufer habe schließlich auch nicht vorgetragen, dass das Werk mit Kenntnis des Verkäufers jemals dem Herausgeber des Boudin-Werkverzeichnisses Schmit vorgelegen oder von ihm schon einmal als unecht bewertet worden wäre. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass die Vertragsparteien Manuel Schmit als einzigen oder wesentlichen Experten angesehen hätten, auf dessen alleinige Meinung zur Echtheit des Gemäldes es ankommen sollte.

Der Käufer hätte anhand der Umstände des Kaufs von selbst erkennen können, dass allein die Expertise von Prof. Dr. Z. aus 1961 vorlag

Es habe auch keine Garantie für den Käufer gegeben, dass er das Gemälde kurze Zeit nach dem mit einem Gewinn von 80.000 € habe versteigern oder eine Aufnahme in das Boudin-Werkverzeichnis erreicht hätte. Bei den Kaufverhandlungen war stets nur die Expertise von Prof. Dr. Z. Gegenstand.

Der Verkäufer obsiegte in dem Rechtsstreit auf ganzer Linie und der Käufer musste die Kosten der Verfahren tragen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der der Kunstmarkt die Urteile der Autoren und Experten der Catalogues raisonnés als letztes Wort ansieht, sogar wenn ernstzunehmende anderslautende Gutachten existieren, wird von den Gerichten offenbar nicht geteilt. Indirekt hat das hier besprochene Urteil damit die Alleinstellung der Catalogue raisonné-Autoren als Experten negiert. Das Urteil ist insofern wichtiger, als es auf den ersten Blick aussieht. Auf der anderen Seite kann es aber auch eine negative Wirkung haben: wenn eine Aufnahme in das Werkverzeichnis nicht als Pflicht angesehen wird, um die Originalität eines Kunstwerks nachzuweisen, dann wird es wohl auch schwerer werden, ein recht auf die Aufnahme in ein Werksverzeichnis einzuklagen.

Trotzdem könnten weitere Urteile, die auch andere Expertenmeinungen als die von Catalogue raisonné-Autoren als ausreichend ansehen das Monopol des Werkverzeichnisses schwächen. Aus juristischer Sicht schön wäre es gewesen, wenn der Käufer die Herausgeber des Boudin-Werkverzeichnisses auf Aufnahme seines Gemäldes verklagt hätte. Aus prozessual-taktischer Sicht hätte er Ihnen den Streit verkünden müssen, um sie an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe zu binden. Dann hätte er unter Umständen leichter eine Aufnahme in das Werkverzeichnis rechtlich erzwingen können.

Es bleibt zu hoffen, dass weitere interessante Rechtsstreitigkeiten folgen, bei denen auch die Herausgeber von Werkverzeichnissen Partei werden. Insbesondere wäre dies wichtig in den Fällen, wenn die vom Kunstmarkt anerkannten Experten und Herausgeber gleichzeitig selbst oder durch ihnen gehörende Unternehmen mit den Werken der betroffenen Künstler handeln.

Eva N. Dzepina, LL.M. (UK)
Rechtsanwältin
www.borgelt.de
Mitglied des Instituts für Kunst und Recht, IFKUR e.V.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Kunst und Auktionen.

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Eva N. Dzepina Rechtsanwältin für Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Internetrecht, Designrecht, Kunstrecht, IT-Recht, Domainrecht

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