Nacktheit in der Kunst: Ob in Köln, Paris oder New York, Nacktperformances sind ein Trend, der nicht nur für Begeisterung sorgt.

Die attraktive Schweizer Künstlerin und Nacktperformerin Milo Moiré verbrachte 2015 deswegen sogar eine Nacht im Gefängnis, als sie in Paris hüllenlos zwischen Touristen vor dem Eiffelturm posierte. Die französische Polizei klassifizierte dies als Erregung öffentlichen Ärgernisses. Moiré ist unter anderem dafür bekannt, nackt auf Kunstmessen oder vor Wahrzeichen herumzulaufen, wo sie fremde Menschen dazu auffordert, gemeinsam mit ihr Selfies vor der jeweiligen Attraktion zu machen. Als Moiré im Rahmen einer Kunstperformance während der Art Cologne vor den Messehallen mit Acrylfarbe gefüllte Eier aus ihrer Vagina presste und auf eine Leinwand fallen ließ sagte im toleranten Köln hingegen niemand etwas dagegen.

In New York stieß die Busenfotografie des Fotografen Allen Henson im Jahr 2013 auf wenig Begeisterung. Er wurde deshalb von der Empire State Building LLC auf 1,1 Millionen Dollar verklagt. Henson hatte sich während der Öffnungszeiten des Empire State Building mit einem Model auf das Dach des Gebäudes begeben, um sie dort im Rahmen seiner Fotoserie „Boobs Around Town“ nackt zu fotografieren. Die Parteien verglichen sich, nachdem auch Henson auf 5 Millionen Schadensersatz gegen die LLC klagte. Die Klagen wurden am Ende fallengelassen. Der Fotograf unterwarf sich allerdings einem lebenslangen Hausverbot. Sein Foto ist in limitierter Edition erhältlich.

In Deutschland ist der Nacktkult in der Kunst ebenfalls verbreitet. 2015 fand das „Body and Freedom Festival“ in Biel statt, bei dem Künstler und Künstlerinnen aus 17 verschiedenen Ländern ihre Projekte zu dem kontroversen Thema Nacktheit zur Schau stellten. Das nackte Auftreten der Künstler war in Biel nach 5-jährigem Dialog mit den zuständigen Behörden genehmigt worden. Schließlich ging es auch um die Sicherheit des Straßenverkehrs und die öffentliche Ordnung.

Diese Beispiele für den unterschiedlichen Umgang mit dem Thema Nacktheit führt dessen Problematik vor Augen. Im Konflikt stehen Kunstfreiheit und Gesellschaftsmoral. Während die Einen Nacktsein als Kunst auffassen, empfinden Andere das nackte Auftreten der Künstler als obszön und unpassend. Wann fällt das Nacktsein unter den Schutz der Kunstfreiheit, Art. 5 III GG?

Es kann zunächst nicht jedes Handeln oder Objekt als Kunst verstanden und damit grundrechtlich geschützt werden. Welche Hürde muss aber genommen werden, wenn die Nacktheit eines Menschen als Kunst sein soll?

Stellt bereits das Nacktsein für sich Kunst dar oder bedarf es besonderer Zusatzumstände, die die Interpretation der Nacktheit eines Menschen als Kunst rechtfertigen können?

Das OVG Münster hat diesbezüglich 1996 (18. 6. 1996, AZ: 5 A 769/95) entschieden, dass das bloße Nacktsein im Alltag noch keine Kunst im Sinne der Kunstfreiheit darstelle. Der Kläger in dem genannten Fall trat seit Jahren nackt in der Öffentlichkeit auf. Er bezeichnete dies als „Interaktionskunst“.

Die zuständige Behörde untersagte das Zurschaustellen seines nackten Körpers auf öffentlichen Straßen und in allen öffentlichen Anlagen und Gebäuden per Ordnungsverfügung. Die hiergegen gerichtete Klage des Nacktfreunds blieb über zwei Instanzen erfolglos. Es komme auf den Einzelfall, den betroffenen Ort, die Situation und den Zweck und Anlass des Nacktseins an, ob es „die herrschenden Anschauungen über die unerlässlichen Voraussetzungen eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens“ verstoße, so das Gericht. Die Nacktauftritte des Klägers jedoch hätten den Zweck, seinem Publikum den Anblick seines nackten Körpers einfach nur aufzudrängen und es zu provozieren. Andere würden unfreiwillig konfrontiert und zwar dort, Nacktheit nicht zu erwarten sei. Damit werde das natürliche Schamgefühl in besonderer Weise verletzt. Der Kläger scheine nicht das natürliche Verhältnis zur Nacktheit betonen zu wollen sondern sein Bedürfnis, andere mit seinem nackten Körper zu konfrontieren, auszuleben. Er präsentiere sich, so das Gericht, nämlich insbesondere bei Veranstaltungen oder anderen großen Menschenansammlungen sowie in den Medien und verstehe sein Nacktsein als „Auftritt“.

Die Freikörperkultur des Klägers sei nicht Kunst, urteilte das Gericht. Es sei nicht erkennbar, dass dem bloßen Nacktsein eine schöpferische Ausstrahlungskraft zu Eigen sei. Zwar könne ein Nacktauftritt gelegentlich als Kunst oder als Teil einer künstlerischen Aktion aufgefasst werden. Vorliegend habe der Kläger aber nicht dargelegt, dass  sein schlichtes Nacktsein ausnahmsweise als künstlerische Äußerung verstanden werden könnte. Der Kläger lebe schließlich auch seinen Alltag, wie das Einkaufen, Fahrradfahren oder Aufsuchen anwaltlichen Beistands, in nacktem Zustand. Auch die aufgrund der aufgedrängten Konfrontation mit seinem nackten Körper erzielten Reaktionen bei den unfreiwilligen Beobachtern würden den gesellschaftlichen Regelverstoß nicht schon deswegen zur Kunst machen. Es reiche zu einem schöpferischen Akt oder einer Sinnvermittlung im Wege der Kunst auch nicht aus, wenn der Kläger gelegentlich eine Mütze oder nur einen rechten oder linken Strumpf trage.

Allein die Präsentation des nackten Körpers sei keine künstlerische Betätigung im Sinne der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts, also eine „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium der Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“ (Beschluss v. 24.02.1971, AZ: 1 BvR 435/68). Das Gericht führte weiter aus, dass das bloße Präsentieren des nackten Körpers weder „eine „klassische“ Form des Straßentheaters noch eine avantgardistische Form künstlerischer Installation oder Aktion“ sei. Es fehle an einer künstlerischen Äußerung, die „wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Aussage ständig neue, weiterreichende Interpretationen“ zulasse. Der Nacktauftritt des Klägers reicht weder über seine alltägliche Aussagefunktion hinaus noch führt er zu einer unerschöpflichen, vielstufigen Informationsvermittlung (vgl. dazu Henschel, NJW 1990, 1937 [1939]). Mit den Worten eines Laien: der Mann läuft einfach nur gerne immer nackt herum. Und das ist nicht Usus in unseren Breitengraden.

Etwas anderes verhielt es sich im Fall des Fotografen Allen Henson und dem Empire State Building. Fotografie und insbesondere auch Aktfotografie sind seit jeher auch als Kunst anerkannt. Es stellte sich also die Frage, worauf sich die Millionen-Dollar-Klage gegen Henson stützen sollte. In diesem Fall muss differenziert werden.

Ist auch das Fotografieren einer Nackten auf dem Empire State Building vom Kunstbegriff geschützt oder gilt das nur für das Endprodukt, also das Foto?

Vom Schutzbereich der Kunstfreiheit sind grundsätzlich sowohl Werk- als auch Wirkbereich erfasst. Unter dem Werkbereich wird dabei die künstlerische Arbeit, also das Herstellen des Kunstwerkes verstanden. Der Wirkbereich stellt hingegen das Verhalten dar, dass notwendig ist, um das Kunstwerk dem Publikum zugänglich zu machen. Die Handlung des Fotografierens der nackten Frau auf dem Empire State Building kann man als notwendiges Durchgangsstadium zum Endprodukt unter den Werkbereich einordnen und damit in den geschützten Bereich der Kunstfreiheit.

Doch worauf stützt sich dann ein Anspruch der Empire State Building L.L.C. gegen Henson, wenn dessen Tätigkeit doch vermutlich von der Kunstfreiheit umfasst ist? Hier ist zwischen öffentlichem und privatem Raum zu unterscheiden. Im öffentlichen Raum, also auf öffentlichen Straßen und in öffentlichen Gebäuden kann das Nacktsein durch die zuständigen Behörden unterbunden werden, wenn eine Störung der öffentlichen Ordnung gegeben ist. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine solche Störung vorliegt und Maßnahmen ergriffen werden dürfen, spielen auch die Grundrechte eine Rolle. Ist dementsprechend das Nacktsein von der Kunstfreiheit gedeckt muss die Behörde es hinnehmen und darf keine Maßnahmen gegen das Nacktsein ergreifen.

Etwas anderes gilt jedoch im privaten Bereich. Dort gilt das Hausrecht, das das Grundrecht auf Schutz des Wohnbereichs und des Eigentums umfasst. Der Hausherr kann frei darüber entscheiden wer Zutritt zu einer privaten Örtlichkeit haben soll und unter welchen Bedingungen. Kurzum: der Hausherr kann darüber entscheiden, ob seine Gäste alle vollständig bekleidet oder alle nackt erscheinen sollen und den Zutritt zu seinem Privatbereich auch vom Einhalten dieser Bedingung abhängig machen. Darauf stützt sich auch die Klage gegen den Fotografen Henson. Dieser habe absichtlich die Hausregeln des Empire State Buildings verletzt. Ein Besuch des Gebäudes setzte eine angemessene Verhaltensweise voraus, die im vollen Einklang mit den Befindlichkeiten der Mieter, dort arbeitenden Personen und Besuchern des Gebäudes zu stehen habe. Schließlich seien auch Familien mit Kindern dort zu Besuch.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass das Nacktsein für sich genommen noch keine Kunst darstellt. Sonst wäre ja auch jeder Duschgang Kunst. Insofern drohen vermeintlichen Künstlern bei der Zurschaustellung ihrer nackten Körper Sanktionen, bis hin zum Gefängnisaufenthalt – wenn man keine gute Story für sein Nacktsein hat.

Aber auch in dem Fall, dass das Nacktsein tatsächlich als Kunst geplant war und daher im öffentlichen Bereich der Werk- und Wirkbereich des Künstlers geschützt sind, heißt es nicht, dass man nie rechtlichen Konsequenzen ausgesetzt ist.

Denn im privaten Bereich hat trotz allem der Hausherr die Entscheidungsmacht. Er allein entscheidet darüber, ob er das Nacktsein seiner Besucher toleriert, verbietet oder sogar voraussetzt. Und trotz aller künstlerisch erlaubten Provokation im öffentlichen Bereich – die Grundrechte anderer können auch der Kunstfreiheit Schranken setzen.

Also bei Nacktaktionen lieber einen Bademantel mitnehmen.

Eva N. Dzepina, LL.M. (UK)
Rechtsanwältin
www.borgelt.de
Mitglied des Instituts für Kunst und Recht, IFKUR e.V.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Kunst und Auktionen.

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Eva N. Dzepina Rechtsanwältin für Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Internetrecht, Designrecht, Kunstrecht, IT-Recht, Domainrecht

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