Mit der Finissage am 8. November 2013 fand das Art-Show-Event des Künstler-Quartetts Frank Dursthoff, Kai Schäfer, Alexandre Mol und Wolfgang Sohn in der Düsseldorfer The Temporary Art Gallery sein Ende. Während dieses Events musste sich der Besucher mit der Frage „Kunst oder Kopie?“ auseinandersetzen. Die ausgestellten Exponate der NY Scene Reihe Wolfgang Sohns zeigen nämlich Fotos aus New York, die dort aufgefundene Graffitis fremder Künstler abbilden. Können solche Fotografien fremder Kunstwerke überhaupt als eigenständiges Werk angesehen werden? Oder sind das schlicht und einfach „Kopien“? Ab wann ist Kunst Kunst? Und damit urheberrechtlich geschützt?

Gerade im selbstpräsentationsgeprägten Zeitalter bietet es sich an, den Kunstbegriff mal wieder aufzudröseln, Es scheint ja schon, dass bald der ganze Globus von autodidaktischen Künstlern, Fotografen, Grafikern, Designern, Modeschöpfern, Stylisten, Sängern, Schauspielern etc. bevölkert ist. Ego-Hypes bei Facebook, Instagram, WordPress und Casting-Shows tun ihr Übriges. So deklarieren sich viele mittels geschickter Wortkreationen in Kombination mit Begriffen wie „Artist“, „Designer“ oder „Performer“ geradezu dadaistisch selbst zum Künstler – oder werden von den Medien dazu gemacht. Kunst ist mittlerweile auch zu einem Massenphänomen geworden und kann – wie andere Massenprodukte – auch der Kommerzialisierung und Banalisierung zum Opfer fallen.

Ist unser schöner Planet nun ausschließlich von Künstlern aller Art besetzt oder haben wir womöglich unsere Erwartungen an Kunst herabgesetzt – oder die Kunst gar befreit?

Zurück zu den Graffiti-Fotos Wolfgang Sohns. Zweifelsohne sind Fotos als Lichtbilder vom Schutz des § 72 Urheberrechtsgesetz (UrhG) erfasst. Es stellt sich die Frage, ob darüber hinaus die Fotos Sohns auch als geistige Schöpfung, also als Lichtbildwerk gemäß § 2 I Nr. 5 UrhG geschützt sind und mithin der mit dieser Einordnung einhergehende höherwertige Schutzbereich eröffnet ist. Oder ob sie als Werke der bildenden Kunst zu klassifizieren sind, § 2 I Nr. 4 UrhG. Bleiben wir bei der Frage, ob die Graffiti-Fotos als Kunstwerk im Sinne des Urheberechtsgesetz zu qualifizieren sind. Auf den ersten Blick handelt es sich bei den abfotografierten Graffitis um bloße lichtbildnerische Reproduktionen der Kunstwerke anderer. Welche Voraussetzungen werden nach dem Urheberrecht für Kunst gefordert? Zunächst kommt es nicht auf einen höheren oder geringeren Kunstwert an. Es muss aber ein Mindestmaß an Individualität vorhanden sein.

Und der ästhetische Gehalt muss einen Grad erreichen, so dass nach Auffassung der mit Kunst einigermaßen vertrauten Kreise noch von einer „künstlerischen Leistung“ gesprochen werden kann. Ein gewisser äußerer Einfluss ist in der Kunst durchaus nicht fremd und auch im Urheberrecht nicht schädlich. Aber kann allein in der Auswahl eines abfotografierten Kunstwerks oder eines Teils davon ein individueller schöpferischer Akt gesehen werden?

Auf die Graffitifotos Wolfgang Sohns übertragen würde sich der schöpferische Akt auf das Aussuchen der zu fotografierenden Objekte, der Auswahl des Bildausschnittes, des Aufnahmewinkels, der Lichtverhältnisse, der mitabgebildeten Umgebung inklusiver Passanten – zusammenfassend ausgedrückt in der Komposition seiner Bilder – konzentrieren.

Durch diese Auswahl erfolgt eine Bearbeitung des ursprünglichen Kunstwerks, woraus möglicherweise ein neues Kunstobjekt hervorgebracht wird. Der Künstler verarbeitet die von ihm gewonnenen Impressionen und überträgt sie mit Hilfe der Fotografie in seine eigene Kunst. Der Betrachter der Fotos bekommt nicht mehr das ursprüngliche Kunstwerk als Kopie zu sehen. Vielmehr vermittelt der Künstler seine eigenen sinnlichen Wahrnehmungen den Betrachtern seiner Bilder und so seine persönlichen Eindrücke und Gefühle – wie vielleicht, dass ein Ausschnitt des betroffenen Werks selbst ein ganzes Kunstwerk darstellt.

Dass beim Betrachter so ein kognitiver Prozess stimuliert wird mag zutreffen. Auch in einer nachträglichen Bildbearbeitung kann eine schöpferische Handlung gesehen werden, wenn sie über die reine Anwendung automatischer Fotobearbeitungssoftware hinausgeht und zu einer von Ästhetik geleiteten Betonung bestimmter Bildbereiche führt. Dann vermag auch diese Art und Weise der Bearbeitung eine gestalterische Leistung darzustellen – quasi eine Parallele zum Objet trouvé. Oder sind wir schon in der Appropriation Art angekommen?

Nicht von der Hand zu weisen ist jedenfalls der Gedanke, dass dem Graffitikünstler möglicherweise irgendein Miturheberschaftsrecht zukommen könnte, da ohne sein Werk (auch wenn es nur ein Teilstück ist) gar kein Foto existieren würde. Die Miturheberschaft gibt ein Recht auf einen Anteil an der Verwertung. Die Miturhebereigenschaft setzt jedoch auch einen gemeinsamen Schöpfungswillen voraus – was im Falle des ungefragten Abfotografierens nicht gegeben ist. Und was ist mit der Panoramafreiheit?

Nach § 59 UrhG ist es zulässig, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Graphik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Als dürfen sollte Fotos im Rahmen der Panoramafreiheit hergestellt und verbreitet werden. Jedoch gibt es auch hier Grenzen. Wenn das abgebildete Werk durch eine Nachbearbeitung nämlich auch noch bearbeitet, verändert oder entstellt wird, geht das natürlich mit. Solche Veränderungen dürfen nur vorgenommen werden, wenn sie im Rahmen der Panoramafreiheit erforderlich sind oder wenn der Urheber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben seine Einwilligung zu den Veränderungen nicht hätte versagen dürfen. Denkbar sind hier eventuell Änderungen im Aufnahmewinkel oder in den tages-, jahreszeitlich oder witterungsbedingten Lichtverhältnissen, sowie vervielfältigungsbedingte Änderungen. Nicht erforderlich dürfte es aber sein, wenn Werke an öffentlichen Plätzen (wie Graffitis) beispielsweise auf Postkarten plötzlich in Neonfarben wiedergegeben werden.

Darüber hinaus darf bei einer ausschnittweisen Wiedergabe des Werkes durch die Wahl des Ausschnitts das Werk nicht sinnentstellend dargestellt werden. Wird das Werk von Dritten bemalt oder anderweitig beeinträchtigt ist eine Vervielfältigung und Verbreitung nicht mehr zulässig. Davon abgetrennt ist und bleibt immer noch die Frage, ob ein abfotografierter Teilausschnitt des jeweiligen Graffito selbst als Foto ein neues Kunstwerk darstellt.

Werke, die andere Werke zugrunde legen oder als Ausgangspunkt nehmen sind daher urheberrechtlich gefährlicher als man denkt. Vielleicht sollte man manchmal besser strenger zwischen Kunst und Dokumentationsfotografie entscheiden?

Gerne vertreten wir Sie in Verletzungsfällen auf Aktiv- oder Passivseite. Auch arbeiten wir für Sie Verträge aus, die Ihre Rechte als Urheber, Auftraggeber oder Lizenznehmer schützen.

Eva N. Dzepina, LL.M. (UK)
Rechtsanwältin
www.borgelt.de
Mitglied des Instituts für Kunst und Recht, IFKUR e.V.

Mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Urheberrecht betreut Rechtsanwältin Eva Dzepina seit vielen Jahren Mandate in der Beratung und bei streitigen Auseinandersetzung in Fragen des Urheberrechts und Kunstrechts.

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Eva N. Dzepina Rechtsanwältin für Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Internetrecht, Designrecht, Kunstrecht, IT-Recht, Domainrecht

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