Neues BSG-Urteil zur Sozialversicherungspflicht von Rechtsanwälten

Wer als Rechtsanwalt tätig ist, ist nicht automatisch selbständig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass auch Anwälte, die Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-GmbH sind, sozialversicherungspflichtig sein können. Auf viele Rechtsanwaltsgesellschaften könnten jetzt hohe Nachzahlungen zukommen.

Sozialversicherungspflicht: Abhängige Beschäftigung oder Selbstständigkeit?

Nach dem Gesetz löst grundsätzlich nur die abhängige, nicht jedoch die selbständige Tätigkeit Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus. Die Abgrenzung ist indes nicht immer leicht. Das Gesetz definiert eine abhängige Beschäftigung in § 7 SGB IV als nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte hierfür sind eine Tätigkeit nach Weisung und die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. [Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit sind dagegen ein Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und eine im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit].

Abgrenzungskriterien des Bundessozialgerichts

Wer als Geschäftsführer freiberuflich für eine Gesellschaft tätig ist, wähnt sich deshalb häufig selbständig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Das BSG hat in der jüngeren Vergangenheit jedoch bereits mehrfach entschieden, dass auch die freiberufliche und fachlich weisungsunabhängige Tätigkeit für eine Gesellschaft eine abhängige Beschäftigung i.S.v. § 7 SGB IV nicht ausschließen muss (so etwa BSG Urt. v. 07.07.2020 – B 12 R 17/18 R für eine Steuerberatungsgesellschaft; BSG Urt. v. 11.11.2015 – B 12 KR 10/14 R für eine Unternehmensberatungsgesellschaft; BSG Urt. v. 29.07.2015 – B 12 KR 23/13 R für eine Familiengesellschaft). Nach der Rechtsprechung ist ein Gesellschafter-Geschäftsführer nur dann selbständig tätig, wenn er über ausreichende Rechtsmacht verfügt, um auf die Geschicke der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Dies ist der Fall bei Mehrheitsgesellschaftern mit einem Gesellschaftsanteil von mindestens 50 Prozent oder Minderheitsgesellschaftern mit einer umfassenden Sperrminorität. Entscheidend für die Beurteilung ist also ausschließlich die Regelung im Gesellschafts- und ggf. Geschäftsführervertrag, nicht die tatsächliche Ausgestaltung der täglichen Arbeit.

Bedeutung für Rechtsanwaltsgesellschaften

Das BSG hat in seinem neuesten Urteil vom 28. Juni 2022 – B 12 R 4/20 R – entschieden, dass die für Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH entwickelten Maßstäbe auch für Rechtsanwaltsgesellschaften gelten. Es verwarf damit die Revision von fünf Rechtsanwälten, die jeweils Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit einem Gesellschaftsanteil von zunächst je 20, später je 25 Prozent waren. Der Senat stellte nicht nur typische Regelungselemente einer abhängigen Beschäftigung – etwa ein festes Monatsgehalt, Entgeltsfortzahlungsregelungen im Krankheitsfall und einen Urlaubsanspruch – in den jeweiligen Geschäftsführerverträgen fest, sondern sah wegen der fehlenden Sperrminorität zudem die zur Bestimmung der Geschicke der Gesellschaft erforderliche Rechtsmacht als nicht gegeben an. Die Regelung in § 1 BRAO, wonach Rechtsanwälte unabhängiges Organ der Rechtspflege sind, ändere hieran nichts, da diese lediglich die fachliche Unabhängigkeit der Rechtsanwälte in ihrer anwaltlichen Tätigkeit gewährleisten solle. Hierdurch sei nicht ausgeschlossen, dass sie in ihrer Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer dennoch den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen. [Gleiches gelte für das – allerdings zum 01. August 2022 im Zuge der BRAO-Reform weggefallene – Verbot von Einflussnahmen durch Weisungen aus § 59f Abs. 4 BRAO a.F.]

Ausblick

Es ist angesichts der Rechtsprechungsentwicklung der jüngeren Vergangenheit nicht völlig überraschend, dass das BSG die von ihm entwickelten Maßstäbe zur Beurteilung der Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern auf eine weitere freie Berufsgruppe ausweitet. Dennoch dürfte die neuerliche Entscheidung viele Rechtsanwaltsgesellschaften unvorbereitet treffen. Es steht zu erwarten, dass es hier in Zukunft verstärkt zu Feststellungen von Scheinselbständigkeit und entsprechenden Nachzahlungsforderungen der Sozialversicherungsträger kommen wird. Wir raten Ihnen deshalb, frühzeitig zu prüfen, ob Ihre Gesellschafter von dem neuen Urteil betroffen sind. Gerne stehen wir Ihnen dabei zur Seite. Sprechen Sie uns einfach an.

Tel: 0211.5858990
Email: kojima@borgelt.de

In dankbarer Zusammenarbeit mit Frau Rechtsreferendarin Barbara Verhasselt.

Chuya Kojima Rechtsanwalt für Sozialrecht, Strafrecht, Ordnungswidrigkeiten, Mietrecht, Verwaltungsrecht

Chuya Kojima
Rechtsanwalt