Gelegentlich fragt man sich doch, wie das rechtlich und wirtschaftlich hinkommen soll, mit der Vermarktung einer ungewöhnlichen Kunstform. So aufregend ein Kunstwerk für die Vorstellungskraft auch sein mag, das nicht in die gängigen Kategorien wie etwa Skulptur, Gemälde oder Musik, einzuordnen ist: dem Juristen kann es kreatives Kopfzerbrechen bereiten.
Nehmen wir Tino Seghal. Dieser Künstler wird vom 28.6. bis zum 8.8.2015 im Martin-Gropius-Bau mit einer Inszenierung bestehend aus fünf Werken gezeigt. Es handelt sich bei den Werken um „konstruierte Situationen“. Ein Ensemble von verschiedenen Darstellern spielt, sich abwechselnd, nach einem vorgegebenen, aber durchaus nicht starrem Protokoll oder Ablaufplan eine Situation aus Bewegungen und Tönen oder Deklamationen vor. Im Dunkeln und im Hellen. Der Zuschauer/Betrachter wird teilweise mit einbezogen, steht quasi mitten im Werk herum oder wird angesprochen.
Die Kunstwerke von Seghal darf man nicht fotografieren oder filmen. Sie werden auch nicht anderweitig dokumentiert. Eine Bewerbung oder einen Ausstellungskatalog gibt es auch nicht, weil dies der Künstler untersagt. Die Werke sind also tatsächlich nur dann erlebbar, wenn man sie direkt wahrnimmt, an Ihnen teilnimmt.
Seghals Werke sind keine Performances, die einmalig passieren und dann nicht mehr existieren. Man kann seine Werke nämlich erwerben und sie wieder zeigen. Wie soll das aber genau funktionieren?
Wie erwirbt der fanatische Sammler nun einen Seghal oder Werke anderer Künstler, die im Wesentlichen aus Vorgaben von Abläufen oder Choreographien bestehen?
Zunächst muss man auseinanderhalten, dass die aufgeschriebene oder gezeichnete Dramaturgie, das schriftliche Storyboard des Kunstwerks ein eigenständiges Werk im Sinne des Urheberrechts sein wird (wie ein Drehbuch) und die Ausführung nach diesen Vorgaben als „Situation“, oder wie man es auch immer nennen mag, wohl ebenfalls ein eigenständiges Werk. Oder ist das tatsächlich so?
Im Urheberrechtsgesetz ist das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht in § 19 UrhG dokumentiert. Vortragen kann man Sprachwerke, aufführen Musikwerke und das Vorführrecht betrifft das öffentliche wahrnehmbar machen durch technische Einrichtungen. Passt also alles nicht auf unser Beispiel.
Letztendlich ist die Ausführung eines „Perfomance“-Kunstwerks nach festgelegtem Fahrplan jedes Mal einzigartig, selbst wenn es durch dieselben Akteure geschieht. Keiner bewegt sich jedes Mal völlig gleich. Man hat ja auch mal Muskelkater oder eine Verspannung. Und man betont Worte oder Töne nicht immer identisch. Das ist ja auch stimmungs- oder tagesformabhängig.
Ohne Dokumentation verbleibt das „ausgeübte“ Werk auch nicht für die Ewigkeit. Es kann hingegen immer wieder neu aufgeführt werden – mit leichten bis minimalen Abwandlungen, soweit es sich aus der Natur der Sache ergibt oder vom Künstler gewollt, da er den Akteuren immer auch einen gewissen Spielraum lassen kann. Je größer dieser ist kann der Akteur unter Umständen selbst zum Künstler im Kunstwerk werden, etwa wenn er frei einen Text erfinden und vortragen oder nach eigener Choreographier einen eigenen Tanz kreieren darf.
Der Sammler eines solchen wiederholbaren „Situationen“- oder Performance-Kunstwerks kauft sozusagen das Rezept dazu. Oder das Drehbuch. Er erwirbt das Recht, das schriftlich oder anderweitig (zeichnerisch? Power-Point-Präsentation?) dokumentierte Werk in anderer Form, also durch das Vortragen oder Nachspielen, zu nutzen – genauer: zu bearbeiten, umzugestalten. Oder handelt es sich dabei sogar eigentlich tatsächlich um eine Vervielfältigung, wie bei dem planmäßigen Bau eines Gebäudes nach vorgegebenem Entwurf? Letzteres wird wohl eher der Fall sein.
Ich erinnere mich an eine Künstlergruppe, die einzelne bestimmte Performance-Choreographien zum Kauf anbot und sie so an den Käufer übergab, indem sie ihm den Ablauf schlicht – wie Tanzschritte in der Tanzschule – beibrachte, bis er es drauf hatte. Der Käufer war nach dem Kauf er einzige, der die konkrete Performance noch durchführen durfte, auch die Künstlergruppe verabschiedete sich für immer von ihr. Bewegungsablauf irgendwann vergessen? Pech gehabt. Damit war das Werk dann unwiederbringlich verloren.
Zurück zu Seghal, der seine Werke an Museen und Sammler verkauft. Auch hier wird es genaue Vorgaben zu Abläufen, Räumlichkeiten und Ensemble geben. Abweichungen von den Vorgaben werden sogar Urheberrechtsverletzungen darstellen, das Kunstwerk wird dann vielleicht sogar entstellt. Raubkopien könnte man ebenfalls anfertigen, indem man die Aufführung des Werks heimlich dokumentiert und dann nach Belieben auf der Straße oder in einem anderen Museum nachspielt. Wenn ein Journalist das Werk beschreibt muss er darauf achten, in welchem Umfang er das tut, damit er keine Urheberrechtsverletzung begeht. Eine zu ausführliche Darstellung des Ablaufs der „Situation“ könnte schon eine unerlaubte Vervielfältigung darstellen. Der Künstler könnte das Werk auf eine Aufführung pro Jahr vertraglich begrenzen oder überhaupt nur auf insgesamt maximal 10 Darbietungen.
Das kunsttheoretische Potential an Interpretationen ist bei derartigen unorthodoxen Kunstformen immens. Der phantasievolle Jurist hat, wie man sieht, auch ganz schön viel Spielraum.

Eva N. Dzepina, LL.M. (UK)
Rechtsanwältin
www.borgelt.de
Mitglied des Instituts für Kunst und Recht, IFKUR e.V.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Kunst und Auktionen.

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Eva N. Dzepina Rechtsanwältin für Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Internetrecht, Designrecht, Kunstrecht, IT-Recht, Domainrecht

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