Die Aktion „AKT to go“ im Projektraum „Berlin Weekly“, die während des Project Space Festivals in Berlin stattfand verlangte den kunstinteressierten und auch anderen Zuschauern einiges ab. Nicht nur, dass man beim Nachmittagsshopping unvorbereitet mit nackten menschlichen Körpern konfrontiert wurde. Man sollte sich auch noch intensiv mit ihnen beschäftigen und Kunst herstellen!

Stefanie Seidl hatte für vier Stunden ein männliches und ein weibliches Aktmodell im Schaufenster plaziert und Malwerkzeug zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt. Einige eingeladene, bekannte Künstler, aber auch spontan vorbei laufende Passanten hatten sich der Stifte, Blöcke und Staffeleien bedient und einfach drauf los gezeichnet. Seidl, die Kuratorin des Projektraums, wollte die übliche Schaufenstersituation einfach umdrehen, sagte sie dem Spiegel (11.8.2015, Ingeborg Wiensowski, „Freie Kunsträume in Berlin – Aktzeichnen to go“). Viele Zeichnungen wurden dann auch einfach vor Ort zurück gelassen.

Die interessante Idee, die Kunst nicht im Schaufenster „einzuschliessen“ und den Betrachter draussen zu lassen, sondern den Betrachter zum Künstler zu machen und nur das Motiv „auszustellen“ gibt viel für eine juristisch originelle Interpretation her. Mehrdimensional entstehen hier Werke und erheben sich „normale“ Menschen zu Urhebern. Dabei darf man zuallererst die Aktmodelle selbst nicht vergessen. Diese bewegen sich und verharren in einer eigens entwickelten, vielleicht aber auch spontanen Choreographie in dem Schaufenster. Man kann dabei an eine Performance denken, die selbst Werkqualität als Kunstwerk hat. Voraussetzung dafür ist, dass die Modelle tatsächlich ein Werk schaffen wollten und dabei nach einem bestimmten Plan vorgegangen sind, der auch noch ein Mindestmaß an Originalität hat. Wahrscheinlicher wird sein, dass die Aktmodelle einfach nur in verschiedenen für Aktmodelle typischen Posen ihre Zeit abgesessen haben, um den Neu-Künstlern auf der anderen Seite des Glases Motive zur Verfügung zu stellen.

Denkbar wäre auch, dass sie als ausübende Künstler agiert haben im Sinne des § 73 UrhG. Ausübende Künstler sind die, die ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst, die kein Werk im Sinne des Urhebergesetzes sein muss, aufführen, singen, spielen oder auf eine andere Weise darbieten oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirken. Ein solcher Darbietender ist durch das Urheberrechtsgesetz fast wie ein Urheber selbst geschützt. Er hat beispielsweise ein Namensnennungsrecht, kann sich gegen Entstellungen seiner Darbietung wehren, hat Einwilligungsrechte zur Nutzung seiner Darbietung und Verwertungsrechte. Wie etwa das Recht, seine Darbietung aufzunehmen und die Darbietung öffentlich wiederzugeben. Würde man etwa zur Auffassung kommen, dass die Aktmodelle ausübende Künstler sind, zum Beispiel, weil sie in Zeitlupe eine Choreographie oder ein pantomimisches Theaterstück aufführen oder Ähnliches, so könnte man gleichsam höchst kreativ-juristisch darüber nachdenken, ob das Abzeichnen nicht vielleicht sogar ähnlich wie eine (Moment-)Aufnahme ist, die ihrer Einwilligung bedarf – von der man aber sowieso ausgehen muss, sonst hätten sie sich ja nicht ins Schaufenster gesetzt.

Die Kuratorin Stefanie Seidl, die alles geplant hat, könnte sich selbst zur Performance-Künstlerin gemacht haben, indem sie die Aktion geplant hat. Sie hat alles ausgewählt, die Modelle, den Ort, die Dauer, die Inszenierung und sie hat die Malwerkzeuge bereit gestellt, sogar Künstler geladen. Zwar würde diese Performance die spontane Mitwirkung Dritter einkalkulieren aber die wäre unschädlich für eine urheberrechtlich geschützte Werkqualität der Gesamtperformance, insbesondere dann, wenn diese Dritten sich innerhalb des Plans von Seidl bewegen: die Aktmodelle mit Hilfe der bereit gestellten Materialien in dem bereit gestellten Umfeld zeichnen.

Nun zu den Spontankünstlern, die die Aktmodelle zeichneten. Zunächst ist zu sagen, dass es für den Urheberschutz nicht darauf ankommt wie schlecht eine Zeichnung ist. Die Qualität des Malerhandwerks ist nicht entscheidend. Auch wenn das schmale blonde Aktmodell auf dem Papier aussieht wie eine brünette Rubensmuse wird die Zeichnung urheberrechtlich geschützt sein – und zwar nicht für Stefanie Seidl sondern für den jeweiligen Urheber. Der Zeichner wird quasi Miturheber der Performance. Und er hinterläßt sogar ein eigenständig geschütztes Derivat der Performance zurück. Inwiefern die Teilnahme an der Aktion eine Einwilligung des Neukünstlers beinhaltet, dass mit seinem hinterlassenen Werk, der Zeichnung, gemacht werden kann, was man will, ist von den Umständen abhängig. Wenn etwa ein gut sichtbarer Zettel die Mitwirkenden darüber aufgeklärt hat, dass sie ihre Zeichnungen abgeben müssen und diese dann im Internet gezeigt werden oder in einem Buch erscheinen, ohne dass sie dafür etwa extra vergütet oder gefragt werden müssen, spricht einiges für eine Einwilligung der Zeichnenden, wenn sie sich trotzdem gemütlich hinsetzen, malen und das Werk dann vor Ort belassen.

Ein Rechtsanwalt würde dem Veranstalter oder der Performanceplanerin naturgemäß empfehlen, sich alle Einwilligungen schriftlich zu holen. Aber so bürokratisch wollte man in Berlin ja gar nicht sein. Es dürfte auch keinen Kunstdiebstahl darstellen, wenn ein Spaziergänger ein auf dem Boden zurück gelassenen Werk mitnimmt, weil es ihn an seine Ex-Freundin erinnert. Ob er dann das Werk aber im Internet zeigen darf oder Postkarten davon anfertigt steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Verwertungsrechte eines Kunstwerks werden nämlich selbst bei einer normalen Transaktion über ein Kunstwerk nicht übertragen. Gleiches muss erst recht gelten, wenn ein Werk einfach irgendwo liegen gelassen wird.

Das Füllhorn der urheberrechtlichen Verwicklungen bei solchen Kunstaktionen ist jedenfalls äußerst reichhaltig. Fast schon kunstvoll.

Eva N. Dzepina, LL.M. (UK)
Rechtsanwältin
www.borgelt.de
Mitglied des Instituts für Kunst und Recht, IFKUR e.V.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Kunst und Auktionen.

Bei Fragen zum Urheberrecht können Sie sich gerne an uns wenden. Vereinbaren Sie gern einen Termin mit Frau Rechtsanwältin Eva Dzepina unter dzepina@borgelt.de.

Sprechen Sie uns an per E-Mail: info@borgelt.de oder Telefon: +49.211.5858990

Eva N. Dzepina Rechtsanwältin für Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Internetrecht, Designrecht, Kunstrecht, IT-Recht, Domainrecht

Eva N. Dzepina, LL.M. (UK)

Rechtsanwältin